Vermittlungsprojekt – ‹Was heisst denn hier fremd?!› an Basler Schulen

Vermittlungsprojekt – ‹Was heisst denn hier fremd?!› an Basler Schulen

Insgesamt haben seit 2006 über 50 Kulturschaffende im Theaterprojekt «fremd?!» unterrichtet.

Das Projekt „fremd?!“ wurde 2006 von Anina Jendreyko geründet. „fremd?!“ arbeitet in Quartieren, in denen die gesellschaftliche Vielfalt schon seit vielen Jahren zum Alltag gehört. Im Mittelpunkt stehen Theaterproduktionen mit SchülerInnen der 7 und 8ten-Stufe ( früher OS und WBS ), aus dem Brückenangebot und aus dem Nachfolgeprojekt, die über einen Zeitraum von sieben Monaten erarbeitet werden. Das Projekt ist an die Klassengemeinschaft gebunden und somit an die Institution Schule. Fünf öffentliche Aufführungen finden am Ende der Probenphase jeweils in einem Theater in Basel (Vorstadttheater, Kaserne Basel, Theaterfalle) statt. Die Arbeit wird von professionellen Theaterschaffenden geleitet. Das Regieteam setzt sich aus SchauspielerInnen, MusikerInnen und TänzerInnen verschiedener kultureller Herkunft zusammen.    

„fremd?!“ schafft einen Arbeitsraum, der nicht an die schulischen Leistungen gebunden ist, sondern von den Ressourcen und Fähigkeiten der einzelnen Jugendlichen ausgeht und eine oftmals verborgene Kreativität und Initiativkraft erweckt. Die Theaterarbeit fordert die Jugendlichen auf, sich mit ihren vielfältigen Erfahrungen auseinander zu setzen. Sie erfahren sich als interkulturell kompetente Menschen, deren Eigenheiten als stärkende Qualität und Potenzial wahrgenommen werden. Dadurch wird ihre reflexive Identitätsbildung und Selbstkompetenz gestärkt, bei gleichzeitiger Förderung von Eigenverantwortung Sozialkompetenz und der Verantwortung für die Gemeinschaft.

Die Arbeit wird von professionellen Theaterschaffenden geleitet. Das Regieteam setzt sich aus Schauspieler*nnen verschiedener sozialer und kultureller Herkunft zusammen – die Musiker*nnen und Tänzer*nnen  haben fast alle einen interkulturellen Hintergrund.

Das Theaterprojekt „fremd?!“ setzt hier an und bietet in seiner Vielfalt eine zeitgemässe Herausforderung. Ausgangspunkt ist die alltägliche Erfahrung der Jugendlichen, der Spagat, den die meisten von ihnen zwischen dem Zuhause – der Herkunftskultur ihrer Eltern – und dem Leben im öffentlichen Raum – Schule, Freizeit, hiesige Mehrheitskultur – vollziehen. Ihre besonderen Erfahrungen werden in der gemeinsamen Theaterarbeit wahrgenommen, anerkannt und als Ressourcen genutzt. Nichts, kein Stück, kein Text ist vorgegeben, alles muss von Anfang bis Schluss selber erarbeitet werden, durch Improvisationen, Gespräche, texten, denken, schreiben. Am Schluss wird ein Stück Lebenswelt symbolisch verdichtet auf der Bühne dargeboten, welches dazu animiert, über individuelle und gesellschaftliche Prozesse zu reflektieren. Alle Jugendlichen bringen ihre Lebenswirklichkeit in den ästhetischen Bildungsprozess mit ein und machen sie bewusst oder unbewusst zum Gegenstand der Auseinandersetzung. Die Jugendlichen übernehmen Verantwortung für den Erfolg des Projekts und füreinander. Sie lernen, sich aufeinander zu verlassen – ebenso wie auf die Kompetenz und Autorität des Regieteams – und machen die Erfahrung, wie Konzentration, Einsatz und Verantwortung zu einem gemeinsamen und erfolgreichen Ergebnis führen.

Verschiedene Ansichten, Einsichten und neue Perspektiven werden dargestellt, über die viel diskutiert, gestritten und gerungen wurde. Die Eltern, die Lehrerschaft, das Publikum, die Theaterhäuser werden damit ebenso konfrontiert und zur Reflexion aufgefordert.

Gleichzeitig werden die Jugendlichen an das hiesige Kulturangebot herangeführt. Durch die vielen Besuche unterschiedlicher Theater (oder auch Museen, etc.) findet eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ausdrucksformen statt, wodurch sich das Hinschauen und die Kritikfähigkeit verändert. Durch das häufige ins Theater Gehen – vor, hinter und auf die Bühne – lernen die Jugendlichen eine eigene Haltung einzunehmen. Insgesamt erhalten sie dadurch einen breiten Zugang zu kulturellen Institutionen und Angeboten unserer Stadt.

Die Eltern werden in den Prozess des Projektes auch miteinbezogen (Elternabende). Durch den Besuch der Aufführungen erfahren sie einen Perspektivenwechsel und sind aufgefordert, sich mit den verschiedenen Welten ihrer Kinder, neuen Einsichten und Erkenntnissen der Jugendlichen auseinanderzusetzen. Das fordert auf, die eigene Rolle und Aufgabenstellung zu reflektieren. Wir möchten auch verdeutlichen, dass z.B. mangelnde Deutschkenntnisse kein Grund sind, die kulturellen Institutionen zu meiden, sondern, dass der direkte Kontakt helfen kann, die hiesige Sprache und Kultur besser zu lernen und kennenzulernen.

Den Lehrpersonen ermöglicht das Projekt einen Reflexionsraum und einen Perspektivenwechsel, der ihre Aufmerksamkeit auf positive Fähigkeiten und Aspekte sowie auf die häufig versteckten Motivationen der einzelnen Schülerinnen und Schüler lenkt. 

Seit 2010 gibt es für Jugendliche, die weiter in ihrer Freizeit Theater spielen wollen auch ein Nachfolgeprojekt. Das Theaterstück „was heisst denn hier fremd?!“ hat 2010 einen Preis beim Secondo Theaterfestival erhalten und war an verschiedenen Bühnen in der Schweiz zu sehen.

Wir möchten die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Menschen in unserer Gesellschaft zum Ausgangspunkt neuer Visionen machen, da es nicht reicht, bei der Anerkennung der Differenzen zu verweilen und sie zu fixieren. Alle im Projekt Arbeitenden sind Teil des sich entwickelnden Prozesses und tragen so längerfristig zu einer transkulturellen Öffnung der gesellschaftlichen Strukturen – insbesondere im Kultur- und Bildungsbereich – bei. Dieser Anspruch fordert von allen Beteiligten ein hohes Mass an Kommunikation in alle Richtungen und auch die Bereitschaft sich verwirren zu lassen und neues Gelände zu betreten. Neue Verbindungen innerhalb der Kultur- und Bildungsarbeit können das ganze Feld der Ausdrucks, der Darstellung und des Inhaltes verändern.

Damit verbunden ist der Anspruch von „fremd?!“, den Blick für aktuelle und brisante gesellschaftspolitische Themen zu schärfen, wie die starke soziale Segregation in verschiedenen Wohnquartieren oder die mangelnde transkulturelle Kompetenz von Kultur- und Bildungsinstitutionen und die damit verbundene mangelnde Chancengleichheit von Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien mit und ohne interkulturellem Hintergrund.