ISABELLE

die Lebensgeschichte von Isabelle Eberhardt , ein Stück von John Berger und Nella Bielski
aus dem Englischen von Hans Jürgen Balmes

„Alle träumt ihr von der grossen Zivilisation! Ich sehe keine Ordnung, die es wert wäre, sie anderen aufzuzwingen. Wonach ich suche, werde ich jenseits eurer Grenzen finden. Wenn ich es je finde, wird es in der Wildnis sein, in meiner Wildnis. Wenn ich es finde…“ 

Mit 19 bricht die Schweizer Weltenbummlerin Isabelle Eberhardt das erste Mal in die nordafrikanische Sahara auf, um bis zum Ende dort zu leben, neugierig, frei und unkonventionell, wie kaum eine andere Frau ihrer Zeit (und danach). John Berger und die ukrainische Autorin Nella Bielski haben aus ihrer Lebensgeschichte ein Stück geschaffen, das die Leidenschaft dieser aussergewöhnlichen Frau, ihre tief gehende Hinterfragung eurozentrischer Denkweisen, sowie die politischen Konflikte der Kolonialgeschichte tief bis ins heute sichtbar macht. 

Die Uraufführung von ISABELLE wurde aufgrund der erfolgreichen Inszenierung „A&X“ von John Berger an Anina Jendreyko und ihr Team herangetragen. 

Isabelle Eberhardt wächst in Genf als Tochter russischer Emigranten auf. Ihr Vater, Alexander Trofimowski, ein armenischer ehemaliger russisch-orthodoxer Priester, Anarchist und glühender Anhänger Bakunins, unterrichtet und erzieht sie zu grosser Freiheit im Denken. Mit zwölf Jahren hatte sie bereits die Bibel auf Altgriechisch, die Tora auf Hebräisch und den Koran auf Arabisch gelesen.

Isabelle folgt ihrer Sehnsucht, reist nach Afrika, raucht Kif und trinkt wie ein Mann, konvertiert zum Islam, nimmt sich Liebhaber, reitet als arabischer Junge verkleidet allein durch die Wüste, lebt mit Nomaden, schliesst sich einer Moslembruderschaft an, überlebt einen Anschlag, wird eine mystische Heilerin und heiratet einen algerischen Leutnant, einen Spahi im Dienst der Franzosen, mit dem sie allerdings nie im herkömmlichen Sinne zusammenlebt. Ihre kolonialkritische Haltung und ihre Sympathie für die «Einheimischen» brachte sie in scharfen Gegensatz zu den französischen Siedlern, die vor keiner Verleumdung und keiner «Hexenjagd» zurückschreckten. Isabelles Lebensstil ist beispielhaft für ihre leidenschaftliche Suche und ihren Wissensdurst. Mit einem untrüglichen Gerechtigkeitssinn lässt sie sich auf Menschen, Vorstellungen und Lebensweisen ein, ohne vorgefasste Urteile und ohne sich den Moralvorstellungen ihrer Zeit zu beugen. 

Die unkonventionelle Grenzgängerin zwischen den Kulturen, Sprachen und Regionen  schrieb faszinierende Berichte und Erzählungen aus dem Innersten der orientalischen Welt, sie hinterliess ein umfangreiches, faszinierendes Werk. Ihr Leben endete früh und genauso unglaublich, wie es bis dahin gewesen war.

Meisterhaft stellt ISABELLE dringliche Fragen an die heutige Gesellschaft, stellt die Frage nach den Folgen der kolonialen Aufteilung der Welt, nach hartnäckigen Vorurteilen und  imperialen Denkmustern – welche Atmosphäre in den interkulturell vermischten Gesellschaften daraus entsteht, und wie sehr die neoliberale Fortschrittsdoktrin immer noch von altem kolonialem Denken geprägt ist.

Mit Claudia Berger, Nico Ehrenteit, Yüksel Esen, Rasfan Haval, Nuria Horstmann, Anina Jendreyko, Eren Karakuş, Ferhat Keskin, Avital Lvova, Orhan Müstak, Louis
Rüegger Musik Haki Kilic Gesang Özlem Yilmaz Regie Anina Jendreyko Video Nicole Henning Bühnenbild Martina Ehleiter Kostüme Eva Butzkies Dramaturgie Inga-Annett Hansen Regieassistenz Petra Rotar Video-/Bühnenbildassistenz Georg Faulhaber Produktionsassistenz Claudia Berger Mitarbeit Video Alexandra Carambellas Video- Technik Kathrin Mast Technik/Licht Michel Jann Produktionsleitung Pascal Moor Grafik Thomas Dillier Fotos Matthias Wäckerlin 

Rezensionen

Sie ist eine wissensdurstige Nomadin, eine Frau in Männerkleidern, die die Grenzen der Gesellschaft nicht akzeptiert, eine Figur zwischen Orient und Okzident. (…)

Entstanden ist eine Chronologie des Lebens von Isabelle Eberhardt. Bilder und Dialoge reihen sich wie Erinnerungsfetzen locker aneinander. Mal sind sie laut, mal sanft, mal voller Pathos, mal distanziert. (…) Vor den weissen, vertikalen Stoffbahnen und den Projektionen auf der Rückwand entsteht so ein vielschichtiger Raum voller Variationen und überraschender Bilder. (…) Dabei ist ihr klischeebefreites Denken jenseits von gesellschaftlichen Grenzen und Ordnungen ausschlaggebend für ihren Charakter. Sie lebt ausserhalb dieser Gesellschaft und sagt: „Was immer ich auch suche, ich werde es nur jenseits eurer Grenzen finden.“ (…) Die Schauspielerinnen und Schauspieler wechseln zwischen den Sprachen, ein Musiker begleitet das Stück mit orientalischer Akkordeonmusik. Und strenge europäische Uniformen kontrastieren mit den traditionellen arabischen Gewändern.

Dieser interkulturelle Geist und die Frage nach Herkunft und Zugehörigkeit begleiten Regisseurin Jendreyko bei ihren Arbeiten und bieten stets Raum, gesellschaftliche und ästhetische Fragen kritisch zu diskutieren.

(BZ vom 19.10.21018

„Isabelle“ von John Berger und Nella Bielski über die Schweizerin Isabelle Eberhardt zeigt eine eigenwillige und starke Frau zwischen den Fronten kolonialer Denkweisen – gestern und heute. Poetisch und gleichzeitig hochpolitisch hinterfragen Berger und Bielski mit ihrem Stück eurozentristische Sichtweisen und folgen dem Weg einer faszinierenden Persönlichkeit, die sich in die Sahara wagt und sich einlässt auf andere Denk- und Lebensformen.

BaZ vom 18.10.2018

Matthias Wäckerlin

Proben zum Stück ISABELLE am Ackermannshof in Basel am 14. Oktober 2018.